Professor em. Dr. Rudolf L. Mößbauer

 

Nachruf auf Rudolf Mößbauer

Rudolf Mößbauer, geboren am 31. Januar 1929 in München, begann 1949 sein Physikstudium an der TU München, die damals noch Technische Hochschule hieß. Im Januar 1958 promovierte Rudolf Mößbauer unter Professor Maier-Leibnitz an der TU München. Seine Arbeit beschäftigte sich bereits mit dem Phänomen der rückstoßfreien, nuklearen Resonanzemission und Absorption von Gammastrahlung. Die Arbeiten dazu wurden von ihm als wissenschaftlicher Assistent an der TU München in den darauffolgenden beiden Jahren fortgesetzt, welche zum erstmaligen Nachweis dieses Effekts führten, der später nach ihm benannt werden sollte. Die experimentellen Arbeiten dazu hat Rudolf Mößbauer am MPI für Medizintechnik in Heidelberg durchgeführt. Neben zahlreichen anderen Ehrungen wurde Herrn Mößbauer für seine Entdeckung im Jahre 1961 der Nobelpreis für Physik zugesprochen. Der Mößbauereffekt fand und findet zahlreiche Verwendungen in der Kern- und Festkörperphysik, in Experimenten zur Relativitätstheorie, wie auch in der Biophysik. Mit diesem Effekt ist es möglich, die natürliche Linienbreite angeregter nuklearer Zustände und damit deren Lebensdauern zu bestimmen. Diese extreme Genauigkeit, die z.B. bei 57Fe einen Wert Γ/E = 3 x 10-13 erreicht, ermöglicht eine Reihe von spektroskopischen Anwendungen, bei denen es auf die Beobachtung winziger Aufspaltungen oder Linienverschiebungen ankommt. Der Effekt dient u.a. zur Bestimmung der:

  • Magnetfeldstärken und des elektrischen Feldgradienten am Kern,

  • Isomerie-Verschiebungen in Festkörpern, z.B. zur Bestimmung des Oxidationszustands von Mößbaueratomen,

  • Gitterdynamik,

  • magnetischen Kern- und Quadrupolmomente, jeweils im Grund- und angeregten Zustand des Atomkerns,

  • Änderung des quadratischen Kernladungsradius zwischen dem Grund- und angeregten Zustand des Kerns,

  • Rotverschiebung von Gammastrahlung im Gravitationsfeld der Erde,

  • Kristallstruktur.

Aufgrund einer Initiative von Richard Feynman erhielt Rudolf Mößbauer bereits 1960 eine Einladung als Research Fellow an das renomierte California Institute of Technology (CALTECH, Pasadena, USA), wo er dann 1961 als Professor berufen wurde. Im Jahre 1965 folgte Rudolf Mößbauer einem Ruf an die TU München als Ordinarius. Dies verknüpfte er im Einvernehmen mit den Professoren Maier-Leibnitz, Brenig, Riehl und Wild mit der Gründung des Physik-Departments an der TUM. Nach armerikanischem Vorbild wurden die vorher mehr oder weniger isolierten Institute für Theorie, experimenteller Physik und technischer Physik zu einem Department integriert, was das Spektrum des wissenschaftlichen Arbeitens deutlich erweiterte. Zudem hat Rudolf Mößbauer mit seinem Ruf an die TU München auch eine sprunghafte Erhöhung der Zahl an wissenschaftlichen Stellen für die Physik erreicht. So wurde das Department offiziell am 1. Januar 1965 mit zehn ordentlichen Professuren samt der dazu gehörenden Ausstattung gegründet. Im Jahre 1972 folgte Rudolf Mößbauer für fünf Jahre einem Ruf nach Frankreich und wurde Direktor des „Institute Max von Laue – Paul Langevin“ (ILL) in Grenoble.

Zurück in München widmete sich Rudolf Mößbauer nunmehr der Neutrinoforschung. Zusammen mit Kollgen vom CALTECH und französischen Gruppen initierte er 1977 das erste europäische Experiment zur Suche nach Neutrinooszillationen am Forschungsreaktor des ILL. Das Experiment wurde mit einem verbesserten Detektor in einer Kollaboration zwischen dem CALTECH, der TUM und des SIN (Schweizerisches Institut für Nuklearforschung) bis 1985 am Kernreaktor in Gösgen, Schweiz fortgeführt. Motiviert wurde Rudolf Mößbauer durch das Homestake-Experiment von Davis, welches ein Defizit solarer Neutrinos berichtete. Zu dieser Zeit war zwar auch noch eine astrophysikalische Begründung dieses „solaren Neutrinorätsels“ möglich,aber Pontecorvo hat damals bereits darauf hingewiesen, dass Neutrinooszillationen für diese Beobachtungen verantwortlich sein könnten. Es ist zu betonen, dass Rudolf Mößbauer damals absolutes wissenschaftliches Neuland betreten hat. Neutrinophysik galt zu dieser Zeit als exotisches Gebiet in der Physik. Neutrinooszillationen wurden lange als „Spinnereien“ von einigen Theoretikern abgetan. Davon hat sich Mößbauer nicht beirren lassen. Zwar wurden am ILL und in Gösgen keine Oszillationen beobachtet, aber diese Messungen erbrachten damals die lange währenden weltweit besten Grenzen für Oszillationsparameter. Ende der 80er Jahre nahm Rudolf Mößbauer mit seiner Gruppe an dem Sonnenneutrinoexperiment GALLEX teil. Dessen Ergebnisse erbrachten einen ersten Durchbruch im Verständnis des solaren Neutrinorätsels, da eine astrophysikalische Deutung der Ergebnisse nun ausgeschlossen werden konnte. Ab 1992 war klar, dass mit den Neutrinos auf dem Weg von der Sonne zur Erde etwas passieren muss. Zu dieser Erkenntnis hat Rudolf Mößbauer entscheidend beigetragen. Inzwischen ist das Phänomen der Neutrinooszillationen von vielen, unabhängigen Experimenten bestätigt worden. Dies bedeutet, dass Neutrinos Masse besitzen, eine Tatsache, die im Standardmodell der Teilchenphysik nicht vorgesehen war und das damit erweitert werden muss.

Neben seiner Forschung war Rudolf Mößbauer stets an exzellenter Lehre interessiert. Einige seiner Vorlesungen, so z.B. die über Strahlungsphänomene oder zur Neutrinophysik erreichten einen legendären Ruf und mancher Student wurde dadurch zu einem Wechsel an die TU München motiviert. Dabei war Rudolf Mößbauer immer bestrebt, einen möglichst großen Teil der Studentenschaft „mitzunehmen“ und sie für die Physik zu begeistern.

Noch weit nach seiner Emeritierung 1997 war Rudolf Mößbauer aktiv an aktuellen Fragen der Physik interessiert. Zusammen mit Mitgliedern seiner Gruppe hat er 2004 an der Neutrinokonferenz in Paris letztmals aktiv teilgenommen. Neben seinen zahlreichen Auszeichnungen, Medaillen und Orden hat Rudolf Mößbauer dreizehn Ehrendoktorwürden von den renommiertesten Universitäten der Welt erhalten. Er ist uns ein Vorbild an wissenschaftlicher Klarheit, Bescheidenheit und Integrität.

Lothar Oberauer und Walter Potzel